Die letzte Woche war komisch. Durch
einen Bank Holiday und eine britische Version des pädagogischen Tags
hatte ich nur zwei Tage Schule. Ich habe zwar viel Zeit des langen
Wochenendes für meine Bewerbung für das Referendariat genutzt - und
musste dafür sogar noch Edinburgh zum Konsulat fahren, um mir eine,
nennen wir es, Identitätsbescheinigung für den Antrag auf das
polizeiliche Führungszeugnis ausstellen zu lassen (was für ein Spaß,
aber immerhin habe ich dafür die Station Haymarket kennengelernt, bei
der ich dank Ian Rankin und meiner Staatsarbeit immer daran denken muss,
dass "getting off at Haymarket" (angeblich) Edinburgher Slang für
Coitus interruptus ist...) - aber ich habe mir auch ein paar Häuser des
National Trust for Scotland angesehen. Uff, entschuldigt bitte den
Bandwurm-Satz.
Kurz vor
meinem 26. Geburtstag bin ich schnell dem National Trust und Historic
Scotland beigetreten (damit ich noch den Studententarif bekomme). Beides
sind Organisationen, die sich für die Erhaltung historischer Gebäude
und die Denkmalpflege einsetzen. Bisher habe ich meine Historic
Scotland-Mitgliedschaft viel mehr ausgenutzt, weil ich finde, dass die
die interessanteren Gebäude haben (viele der Sachen auf Orkney, die
Schlösser in Edinburgh, Stirling und Urquhart etc.), aber ich wollte
meine National Trust-Mitgliedschaft nicht ungenutzt lassen und eins der
Häuser, das Tenement House in Glasgow, wollte ich schon seit meiner
Ankunft hier sehen. Leider ist der National Trust ziemlich streng, was
das Fotografieren angeht und ich konnte kaum Fotos machen.
Ein
Tenement House ist ein Mietshaus. Die meisten tenements in Glasgow
stammen aus dem 19./20. Jahrhundert, als die Bevölkerung in Glasgow (und
Edinburgh) aufgrund der Industrialisierung boomte. Sie sind aus schönem
roten oder gelben Sandstein, was zum Zeitpunkt ihrer Entstehung aber
keine Rolle gespielt haben wird, weil die Luft in Glasgow so dreckig
war, dass alles schwarz gefärbt wurde. Es gab sie in zwei Varianten:
Küche mit Bettnische für Arbeiterfamilien oder die Luxusvariante mit
einem oder zwei Räumen plus Küche für die Mittelklasse.
Das
Tenement des National Trust ist eine dieser Luxusvariante - es hat
sogar ein eigenes Bad in der Wohnung. Es wurde von Agnes Toward und
ihrer Mutter bewohnt. Das Großartige an der Wohnung ist, dass ihre
Bewohnerin alles aufgehoben und kaum Sachen in der Wohnung geändert hat
bis sie 1965 in ein Altenheim umziehen musste. Bis in die 1950er oder so
hatte sie nicht einmal Gas in der Wohnung. Sie hat auf einem Kohleofen
gekocht, obwohl sie sechs Tage die Woche gearbeitet hat und das mit der
Kohle sicher länger gedauert hat als mit Gas. Die Wohnung zeigt also
ziemlich gut das Leben der Glaswegian Mittelklasse zu Beginn des 20.
Jahrhunderts.
Im
Erdgeschoss des Hauses gibt es eine Mini-Ausstellung sowie einen kleinen
Shop, aber die eigentliche Wohnung liegt im ersten Stock. Man muss
klingeln und wird von einem Mitarbeiter vom National Trust reingelassen.
Als ich da war, war die Bude ziemlich voll mit schätzungsweise zehn bis
fünfzehn Besuchern und drei Damen vom National Trust, die über das
Leben zu Beginn des 20. Jahrhunderts plauderten und sogar mir sagten,
dass ich, wenn ich weitere Geschichten wüsste, die gerne beisteuern
könnte. Das konnte ich zwar nicht, aber dafür wurde mir der Kohleofen
erklärt, mir erzählt, dass Agnes Toward und ihre Mutter einen
Untermieter hatten, damit sie sich die Wohnung leisten konnten und
selten im Salon waren, um so Heizkosten zu sparen. Irgendwie fragt man
sich dann schon, warum sie nicht direkt die Variante genommen habe, die
aus Küche mit Bettnische bestand... Vermutlich hätten sie dort das
Klavier nicht unterbringen können und das war eins der wenigen Hobbies
Agnes Towards.
Einen
Tag später habe ich mich auf den Weg in den Pollok Country Park
gemacht, den mir Hélène schon stark ans Herz gelegt hatte, und habe mir
da auch das Pollok House angesehen. Was für ein Kontrast zum Tenement
House! Es ist ein Adelshaus und laut dem National Trust Schottlands
Antwort auf Downton Abbey. Abgesehen von alten Möbeln und einem
Scrapbook aus dem 18. oder 19. Jahrhundert (ich will übrigens auch ein
Scrapbook von Schottland machen, wenn ich zurück komme) konnte ich viele
viele Bilder von Goya, El Greco und anderen spanischen Künstlern sehen.
Besonders hervorgehoben wurde ein Bild El Grecos, das eine junge Frau
mit einem Pelzkragen zeigt. Man ist sich nicht sicher, wer die junge
Frau auf dem Bild ist. Die Spekulationen gehen von El Grecos Tochter bis
hin zu der spanischen Prinzessin. aber völlig abgesehen von der Frage,
wer auf dem Bild abgebildet ist; die größte Überraschung ist vermutlich,
dass sich in einem nicht so wichtigen schottischen Haus eine
beträchtliche Sammlung spanischer Kunstwerke befindet. Aber einer der
Bewohner des Hauses war einer der ersten schottischen Kunsthistoriker,
der sich mit Spanien beschäftigt hat und deswegen auch eine Sammlung
Gemälde verschiedener Künstler angelegt hat.
Die
Gärten des Pollok Houses sind auch toll. Leider waren einige Blumen
schon ab- und die nächsten noch nicht aufgeblüht, aber ich fand die
Anlage trotzdem sehr schön. Wenn ich Glück gehabt hätte, hätte ich auch
Shire Horses sehen können. Die Frau im Pollok House hatte mich darauf
aufmerksam gemacht. Leider standen die Pferde nicht auf der Weide. Dafür
habe ich sehr viele Highland Cows gesehen. Der ganze Pollok Park
scheint von ihnen bevölkert zu sein. Das ist schon verrückt. Da haben
Amelie und ich uns so verrückt gemacht, auf den ISUK-Touren Highland
Cows zu sehen und hätten einfach nur in einen Park in Glasgow fahren
müssen... Wer hatte gedacht, dass es so einfach sein könnte?
Da
aller guten Dinge drei sind, habe ich am letzten Wochenende noch ein
drittes Gebäude des National Trusts besichtigt. Es ist das Hill House in
Helensburgh, das von Charles Rennie Mackintosh, Glasgows
Lieblingsarchitekten (ich hatte ihn im Oktober schon mal erwähnt) und seiner Frau entworfen wurde.
Von
außen sieht es nicht besonders aus und ich hatte ja schon mal gesagt,
dass ich seine Möbel äußerst unpraktisch finde. Mal im Ernst: Was bringt
die ein Schreibtisch, der wie ein Triptychon aufgebaut ist und ein
japanische Frau im Kimono zeigt, wenn man die Schreibfläche erstmal
suchen muss? Was mir aber gut gefallen hat, war eine Art Alkoven, der
ein bisschen wie ein Schiff aussah und bei den Kindern, die in dem Haus
gelebt haben (verständlicherweise) sehr beliebt war. Außerdem fand ich
die Überlegung, die Kinderzimmer nach Osten auszurichten, weil die
sowieso morgens schon früh auf den Beinen sein und so das Morgenlicht
ausnutzen konnten, sehr logisch.
Helensburgh
an sich ist eine kleine Stadt am Firth of Clyde. Als ich mit der Bahn
ankam, dachte ich mir: "Schön ist anders", aber ich glaube, das lag vor
allem an der Nachbarschaft des Bahnhofs. Von einer genaueren Erkundung
des Orts habe ich aber abgesehen, weil es mal wieder regnete und ich
keine Gummistiefel anhatte.
Außerdem
habe ich an dem Wochenende zwei Sachen gemacht, die nicht National
Trust-bezogen waren. Zum einen war ich im Glasgow Police Museum (ja, was
es nicht alles gibt). In einem Raum wird die gesamte Geschichte der
Glasgow City Police von 1779 bis 1975 (als sie mit der Strathclyde
Police verschmolz) dargestellt. Zunächst bestand die Polizei nur aus
einer Art Patrouille oder Nachtwächtern, aber - so berichtete der
Museumsführer mit Stolz geschwellter Brust - diese Notwendigkeit einer
Polizei und die Einstellung der Constables geschah 50 Jahre bevor in
London die Metropolian Police gegründet wurde. Man muss auf jeden
Vorsprung den Engländern gegenüber stolz sein, wie es scheint.
Zuerst
hatte ich den Eindruck, das Museum würde jeden einzelnen Fall, den die
Polizei je aufgeklärt hat, beschreiben, aber ganz so ausführlich war es
dann doch nicht. Man konnte sich verschiedene Schlagstöcke und Uniformen
der Polizei im Wandel der Zeiten ansehen. Außerdem gab es Fotos von
frühen Police Boxes (Tardis ;-)), wichtigen Polizisten und den ersten
Frauen bei der Polizei, die zuerst nur für Verbrechen, in die Frauen
oder Kinder irgendwie verwickelt waren, oder für den Begleitschutz von
Frauen und Kindern zuständig waren. Einige bekannte Verbrechen wurden
auch dargestellt. Darunter war der Bibel John-Fall, der in Ian Rankins Black and Blue
erwähnt wird (Über das Buch haben eine Kommilitonin ich im
Schottland-Seminar an der Uni ein Referat gehalten. Damals hätte ich
nicht gedacht, dass ich später nochmal von Bible John lesen würde.)
Die
andere Nicht-National-Trust-Aktion war das Katzenjammerkonzert im Òran
Mór (der Pub, der mal eine Kirche war und der auch einen Club im Keller -
oder sollte ich Krypta sagen? - hat). Ich war zwar bei meinem
Heimatbesuch im März bei einem Konzert in Bielefeld, aber das Òran
Mór-Konzert konnte ich mir schon allein wegen der Venue nicht entgehen
lassen. Außerdem stellte ich fest, dass der Rahmen des Konzerts sehr
viel kleiner war die in Deutschland, was sehr schön war. Wenn man von
den zwei Betrunkenen absieht, die immer mal wieder reingerufen haben,
war das Konzert auch wirklich sehr schön. Mittlerweile kann ich mich
auch zumindest mit einem Teil der neuen Lieder anfreunden, auch wenn ich
die alten nach wie vor besser finde.
Nach
dem Konzert bin ich mit ein paar Leuten, von denen ich zwei von
Konzerten in Deutschland kannte, noch was trinken gegangen. Wir waren in
einem Irish Pub im West End, wo noch Live Musik gespielt wurde und wo
wir eine Irin getroffen haben, die die langen Haare eines der männlichen
Mitglieder unserer Gruppe sehr toll fand (und unbedingt anfassen
musste) und uns alle zum tanzen aufforderte. Muss ich erwähnen, dass sie
ziemlich angetrunken war? Ich fand es sehr amüsant. Alles in allem ein
sehr gelungener Abend und ein gelungenes Wochenende.
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