Donnerstag, 14. Mai 2015

Ein Wochenende mit dem National Trust

Die letzte Woche war komisch. Durch einen Bank Holiday und eine britische Version des pädagogischen Tags hatte ich nur zwei Tage Schule. Ich habe zwar viel Zeit des langen Wochenendes für meine Bewerbung für das Referendariat genutzt - und musste dafür sogar noch Edinburgh zum Konsulat fahren, um mir eine, nennen wir es, Identitätsbescheinigung für den Antrag auf das polizeiliche Führungszeugnis ausstellen zu lassen (was für ein Spaß, aber immerhin habe ich dafür die Station Haymarket kennengelernt, bei der ich dank Ian Rankin und meiner Staatsarbeit immer daran denken muss, dass "getting off at Haymarket" (angeblich) Edinburgher Slang für Coitus interruptus ist...) - aber ich habe mir auch ein paar Häuser des National Trust for Scotland angesehen. Uff, entschuldigt bitte den Bandwurm-Satz.
Kurz vor meinem 26. Geburtstag bin ich schnell dem National Trust und Historic Scotland beigetreten (damit ich noch den Studententarif bekomme). Beides sind Organisationen, die sich für die Erhaltung historischer Gebäude und die Denkmalpflege einsetzen. Bisher habe ich meine Historic Scotland-Mitgliedschaft viel mehr ausgenutzt, weil ich finde, dass die die interessanteren Gebäude haben (viele der Sachen auf Orkney, die Schlösser in Edinburgh, Stirling und Urquhart etc.), aber ich wollte meine National Trust-Mitgliedschaft nicht ungenutzt lassen und eins der Häuser, das Tenement House in Glasgow, wollte ich schon seit meiner Ankunft hier sehen. Leider ist der National Trust ziemlich streng, was das Fotografieren angeht und ich konnte kaum Fotos machen.

Ein Tenement House ist ein Mietshaus. Die meisten tenements in Glasgow stammen aus dem 19./20. Jahrhundert, als die Bevölkerung in Glasgow (und Edinburgh) aufgrund der Industrialisierung boomte. Sie sind aus schönem roten oder gelben Sandstein, was zum Zeitpunkt ihrer Entstehung aber keine Rolle gespielt haben wird, weil die Luft in Glasgow so dreckig war, dass alles schwarz gefärbt wurde. Es gab sie in zwei Varianten: Küche mit Bettnische für Arbeiterfamilien oder die Luxusvariante mit einem oder zwei Räumen plus Küche für die Mittelklasse. 
Das Tenement des National Trust ist eine dieser Luxusvariante - es hat sogar ein eigenes Bad in der Wohnung. Es wurde von Agnes Toward und ihrer Mutter bewohnt. Das Großartige an der Wohnung ist, dass ihre  Bewohnerin alles aufgehoben und kaum Sachen in der Wohnung geändert hat bis sie 1965 in ein Altenheim umziehen musste. Bis in die 1950er oder so hatte sie nicht einmal Gas in der Wohnung. Sie hat auf einem Kohleofen gekocht, obwohl sie sechs Tage die Woche gearbeitet hat und das mit der Kohle sicher länger gedauert hat als mit Gas. Die Wohnung zeigt also ziemlich gut das Leben der Glaswegian Mittelklasse zu  Beginn des 20. Jahrhunderts.
Im Erdgeschoss des Hauses gibt es eine Mini-Ausstellung sowie einen kleinen Shop, aber die eigentliche Wohnung liegt im ersten Stock. Man muss klingeln und wird von einem Mitarbeiter vom National Trust reingelassen. Als ich da war, war die Bude ziemlich voll mit schätzungsweise zehn bis fünfzehn Besuchern und drei Damen vom National Trust, die über das Leben zu Beginn des 20. Jahrhunderts plauderten und sogar mir sagten, dass ich, wenn ich weitere Geschichten wüsste, die gerne beisteuern könnte. Das konnte ich zwar nicht, aber dafür wurde mir der Kohleofen erklärt, mir  erzählt, dass Agnes Toward und ihre Mutter einen Untermieter hatten, damit sie sich die Wohnung leisten konnten und selten im Salon waren, um so Heizkosten zu sparen. Irgendwie fragt man sich dann schon, warum sie nicht direkt die Variante genommen habe, die aus Küche mit Bettnische bestand... Vermutlich hätten sie dort das Klavier nicht unterbringen können und das war eins der wenigen Hobbies Agnes Towards.

Einen Tag später habe ich mich auf den Weg in den Pollok Country Park gemacht, den mir Hélène schon stark ans Herz gelegt hatte, und habe mir da auch das Pollok House angesehen. Was für ein Kontrast zum Tenement House! Es ist ein Adelshaus und laut dem National Trust Schottlands Antwort auf Downton Abbey. Abgesehen von alten Möbeln und einem Scrapbook aus dem 18. oder 19. Jahrhundert (ich will übrigens auch ein Scrapbook von Schottland machen, wenn ich zurück komme) konnte ich viele viele Bilder von Goya, El Greco und anderen spanischen Künstlern sehen. Besonders hervorgehoben wurde ein Bild El Grecos, das eine junge Frau mit einem Pelzkragen zeigt. Man ist sich nicht sicher, wer die junge Frau auf dem Bild ist. Die Spekulationen gehen von El Grecos Tochter bis hin zu der spanischen Prinzessin. aber völlig abgesehen von der Frage, wer auf dem Bild abgebildet ist; die größte Überraschung ist vermutlich, dass sich in einem nicht so wichtigen schottischen Haus eine beträchtliche Sammlung spanischer Kunstwerke befindet. Aber einer der Bewohner des Hauses war einer der ersten schottischen Kunsthistoriker, der sich mit Spanien beschäftigt hat und deswegen auch eine Sammlung Gemälde verschiedener Künstler angelegt hat.




Die Gärten des Pollok Houses sind auch toll. Leider waren einige Blumen schon ab- und die nächsten noch nicht aufgeblüht, aber ich fand die Anlage trotzdem sehr schön. Wenn ich Glück gehabt hätte, hätte ich auch Shire Horses sehen können. Die Frau im Pollok House hatte mich darauf aufmerksam gemacht. Leider standen die Pferde nicht auf der Weide. Dafür habe ich sehr  viele Highland Cows gesehen. Der ganze Pollok Park scheint von ihnen bevölkert zu sein. Das ist schon verrückt. Da haben Amelie und ich uns so verrückt gemacht, auf den ISUK-Touren Highland Cows zu sehen und hätten einfach nur in einen Park in Glasgow fahren müssen... Wer hatte gedacht, dass es so einfach sein könnte?


Da aller guten Dinge drei sind, habe ich am letzten Wochenende noch ein drittes Gebäude des National Trusts besichtigt. Es ist das Hill House in Helensburgh, das von Charles Rennie Mackintosh, Glasgows Lieblingsarchitekten (ich hatte ihn im Oktober schon mal erwähnt) und seiner Frau entworfen wurde. 
Von außen sieht es nicht besonders aus und ich hatte ja schon mal gesagt, dass ich seine Möbel äußerst unpraktisch finde. Mal im Ernst: Was bringt die ein Schreibtisch, der wie ein Triptychon aufgebaut ist und ein japanische Frau im Kimono zeigt, wenn man die Schreibfläche erstmal suchen muss? Was mir aber gut gefallen hat, war eine Art Alkoven, der ein bisschen wie ein Schiff aussah und bei den Kindern, die in dem Haus gelebt haben (verständlicherweise) sehr beliebt war. Außerdem fand ich die Überlegung, die Kinderzimmer nach Osten auszurichten, weil die sowieso morgens schon früh auf den Beinen sein und so das Morgenlicht ausnutzen konnten, sehr logisch. 
Helensburgh an sich ist eine kleine Stadt am Firth of Clyde. Als ich mit der Bahn ankam, dachte ich mir: "Schön ist anders", aber ich glaube, das lag vor allem an der Nachbarschaft des Bahnhofs. Von einer genaueren Erkundung des Orts habe ich aber abgesehen, weil es mal wieder regnete und ich keine Gummistiefel anhatte.

Außerdem habe ich an dem Wochenende zwei Sachen gemacht, die nicht National Trust-bezogen waren. Zum einen war ich im Glasgow Police Museum (ja, was es nicht alles gibt). In einem Raum wird die gesamte Geschichte der Glasgow City Police von 1779 bis 1975 (als sie mit der Strathclyde Police verschmolz) dargestellt. Zunächst bestand die Polizei nur aus einer Art Patrouille oder Nachtwächtern, aber - so berichtete der Museumsführer mit Stolz geschwellter Brust - diese Notwendigkeit einer Polizei und die Einstellung der Constables geschah 50 Jahre bevor in London die Metropolian Police gegründet wurde. Man muss auf jeden Vorsprung den Engländern gegenüber stolz sein, wie es scheint. 
Zuerst hatte ich den Eindruck, das Museum würde jeden einzelnen Fall, den die Polizei je aufgeklärt hat, beschreiben, aber ganz so ausführlich war es dann doch nicht. Man konnte sich verschiedene Schlagstöcke und Uniformen der Polizei im Wandel der Zeiten ansehen. Außerdem gab es Fotos von frühen Police Boxes (Tardis ;-)), wichtigen Polizisten und den ersten Frauen bei der Polizei, die zuerst nur für Verbrechen, in die Frauen oder Kinder irgendwie verwickelt waren, oder für den Begleitschutz von Frauen und Kindern zuständig waren. Einige bekannte Verbrechen wurden auch dargestellt. Darunter war der Bibel John-Fall, der in Ian Rankins Black and Blue erwähnt wird (Über das Buch haben eine Kommilitonin  ich im Schottland-Seminar an der Uni ein Referat gehalten. Damals hätte ich nicht gedacht, dass ich später nochmal von Bible John lesen würde.)

Die andere Nicht-National-Trust-Aktion war das Katzenjammerkonzert im Òran Mór (der Pub, der mal eine Kirche war und der auch einen Club im Keller - oder sollte ich Krypta sagen? - hat). Ich war zwar bei meinem Heimatbesuch im März bei einem Konzert in Bielefeld, aber das Òran Mór-Konzert konnte ich mir schon allein wegen der Venue nicht entgehen lassen. Außerdem stellte ich fest, dass der Rahmen des Konzerts sehr viel kleiner war die in Deutschland, was sehr schön war. Wenn man von den zwei Betrunkenen absieht, die immer mal wieder reingerufen haben, war das Konzert auch wirklich sehr schön. Mittlerweile kann ich mich auch zumindest mit einem Teil der neuen Lieder anfreunden, auch wenn ich die alten nach wie vor besser finde.
Nach dem Konzert bin ich mit ein paar Leuten, von denen ich zwei von Konzerten in Deutschland kannte, noch was trinken gegangen. Wir waren in einem Irish Pub im West End, wo noch Live Musik gespielt wurde und wo wir eine Irin getroffen haben, die die langen Haare eines der männlichen Mitglieder unserer Gruppe sehr toll fand (und unbedingt anfassen musste) und uns alle zum tanzen aufforderte. Muss ich erwähnen, dass sie ziemlich angetrunken war? Ich fand es sehr amüsant. Alles in allem ein sehr gelungener Abend und ein gelungenes Wochenende.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen