Montag, 22. Dezember 2014

Pantomime mit viel Gesang

Manchmal ist die englische Sprache doch komisch. Mince Pies enthalten keinen Krümel Hackfleisch (mince meat) und eine Pantomime ist mitnichten eine Darbietung eines Mannes mit weißem Gesicht, der eine imaginäre Glasscheibe putzt, sondern eine Mischung aus Weihnachtsmärchen und Kasperletheater (von wegen der Zuschauerbeteiligung) mit viel Tanz, Gesang und mindestens einem Travestie-Künstler. Das mag merkwürdig klingen, erfreut sich hier aber sehr großer Beliebtheit.
Eine meiner Dozentinnen in Deutschland hat ein Pantomime-Stück geschrieben, das man in der letzten Stunde vor Weihnachten immer bei ihr im Kurs spielen muss. Ich habe das zweimal miterlebt, habe aber nicht so viele Gedanken daran verschwendet, bis ich hier die ersten Flyer für Cinderella mit John Barrowman (der aus Doctor Who und Torchwood und nein, er spielt nicht Cinderella) gesehen habe.

Am Samstag habe ich es mir angeguckt und ich muss sagen, es war kulturwissenschaftlich sehr spannend und auch so recht unterhaltsam. Etwa die Hälfte des Publikums bestand aus Kindern, von denen 90% ein leuchtendes Spielzeug dabei hatten. Viele Leute trugen einen Christmas jumper, Weihnachtsmannmützen oder weihnachtliche Haarreifen (ja, die Mode zu Weihnachten hier ist etwas gewöhnungsbedürftig).
Die Handlung der Inszenierung ist grundsätzlich die des Märchens (bzw. der Disney-Variante) abgesehen davon, dass John Barrowman als Buttons, der beste Freund von Cinderella, der aber eigentlich in sie verliebt ist, auftritt sowie das schottische Komiker-Duo The Krankies, die eigentlich keine wirkliche Rolle haben (sie spielen Cinderellas Vater und Buttons Bruder Zip), aber für den größten Teil der Komik in dem Stück sorgen. Cinderellas Stiefschwestern werden von zwei Drag Queens gespielt. Es kommt auch eine riesige Spinne drin vor, die an einer Stelle über den ersten Reihen im Publikum schwebte. Das fand ich etwas unangenehm. Ich habe schließlich den Herrn der Ringe geguckt und weiß, wozu diese Viecher fähig sind. ;-)
Die Lieder sind größtenteils Popsongs. Zum Beispiel singen die Stiefschwestern am Anfang "Born this way" von Lady Gaga und zwischendurch schwingt die Frau aus dem Krankie-Duo (die übrigens so winzig ist, dass sie normalerweise einen zehnjährigen Schuljungen spielt) im Miley Cyrus-Stil auf einem "Wrecking Ball" (grauer Gymnastikball an einer Kette) über die Bühne.
Extrem cool fand ich, dass sie viele Bezüge zu Glasgow drin hatten. Es werden Stadtteile mit in die Handlung eingeflochten, die Commonwealth Games, der Ryders Cup und die EMA Avards erwähnt und wir wurden alle im "Sexy" (SECC - entweder spricht man jeden Buchstaben einzeln oder das Ganze als Wort, aber wenn man nur die ersten drei Buchstaben zusammen und das letzte C einzeln spricht, kommt  "Sec-ce" = "sexy" dabei raus) begrüßt. Natürlich wird auch das Referendum erwähnt und "Wee William Wallace" tritt auf und Buttons Bruder erzählt, dass sein Ur-ur-ur...Großvater bei der Schlacht von Bannockburn verwundet wurde (wichtige Schlacht der Schotten gegen die Engländer, bei der sie gewonnen haben), allerdings nicht weil er für die Unabhängigkeit gekämpft hat, sondern weil er nebenan gezeltet hat und sich über den Lärm beschwert hat. Ich nehme an, dass das und andere Sachen die das Komiker Duo erzählt, größtenteils bekannte Witze sind, weil ich einige davon aus anderen Kontexten kannte. Gegen Ende treten John Barrowman und die Krankies in Kilts auf und singen zusammen mit der Fairy Godmother eine... modernisierte und schottische Fassung von "Twelve Days of Christmas". In der Originalversion heißt es immer "On the (x) day of Christmas my true love sent to me..." und dann werden Sachen aufgezählt, der mehr oder weniger Sinn machen: ein Rebhuhn in einem Birnenbaum, zwei Tauben, eine bestimmte Anzahl Tänzer usw. Es wird von eins bis zwölf durchgezählt.
Bei der Version, die am Samstag gesungen wurde,  werden dann zum Beispiel vier Portionen Haggis oder zwölf Dosen Irn Bru verschenkt und anstelle der fünf Goldringe schwingt John Barrowman "Five lavy rolls" (Klopapierrollen), die dann natürlich ins Publikum flogen und er wiederholen musste. Er forderte eine Frau auf, sie ihm zuzuwerfen, er würde sie auffangen, aber sie solle nicht so hoch werfen, er hätte schließlich nicht gesagt, womit er sie auffangen würde... Na ja, er selbst trat am Anfang des Liedes auf, als es hieß "And a fairy in the top of the tree" (also anstelle des "patridge in a pear tree").
Viele der Witze, die gemacht wurden, waren eindeutig zweideutig. Ich fand das schon recht bemerkenswert, da sicher die Hälfte des Publikums Kinder waren. Sonst wird der Kinderschutz hier doch so ernst genommen. Bei Filmen wird nicht nur vor Gewalt und Erotik sondern auch vor "böser" Sprache gewarnt. Und hier interessierte es scheinbar niemanden, dass auf der Bühne Scherze darüber gemacht wurde, dass einer unter dem "Cover" seine "Trumpet" verloren hat. Aber klar, solche Scherze gehen an den Kindern natürlich vorbei. Ziemlich zu Beginn des Stückes wünschte John Barrowman den Eltern schon viel Spaß auf dem Nachhauseweg, wenn sie ihren Kindern im Auto alles erklären müssten. Das war nachdem das erwachsene Publikum über eine Sache gelacht hatte, die nicht mal zweideutig gemeint war. Angeblich. Vermutlich war das meiste, das wie Ausrutscher wirkte, eingeprobt, aber es kam auf jeden Fall spontan über. Ich bin mir nicht sicher, ob das Versingen der Fee beim Weihnachtslied ("eight" anstelle von "four) geplant war oder nicht.
Manche der Scherze waren allerdings schon etwas platt. An einer Stelle treten die Stiefschwestern und Buttons als Showtänzerinnen mit riesigen künstlichen (natürlich, es waren ja alles Männer) und singenden Brüsten auf. Dabei klappten die Brüste wie Münder auf und zu. Das fand ich dann schon etwas verstörend.
Was ich zu Beginn mit einer Mischung aus Weihnachtsmärchen und Kasperletheater meinte, ist, dass das Publikum ganz viel bei der Aufführung eingebunden wird. Sie buhen die bösen Charaktere aus, sagen "Aaaaaaaaaw" wenn der Protagonist über seine Liebe spricht oder das Herz gebrochen bekommt, und immer, wenn ein Charakter etwas wie "Oh, no, I won't!" sagt, ruft das ganze Publikum: "Oh, yes,  you will!". Der Charakter sagt dann wieder "Oh, no, I won't!" und das geht dann ein paarmal hin und her. Außerdem kommt die normale Kinder-/ Kasperletheater-Kommunikation vor, bei dem die Kinder dem Protagonisten erklären müssen, was gerade passiert ist. ("Also Cinderella wurde von den bösen Stiefschwestern in den Keller gesperrt?") Unser Publikum war aber, was das betraf, ziemlich lahm, so dass John Barrowman meinte, er sei froh, dass zumindest die zwei "lassies" (Schottisch für Mädchen) in der ersten Reihe aufgepasst hätten.
Ich saß übrigens in der dritten Reihe. Damit hatte ich mehr ausgegeben, als ich eigentlich wollte, aber ich war froh, überhaupt noch eine Karte bekommen zu haben. Die dritte Reihe war ziemlich gut für die Sicht - ich konnte dem Klavierspieler fast auf das Notenblatt gucken - allerdings auch in der Reichweite der Sachen, die auf der Bühne abgingen. Bei den Twelve Days of Christmas spritzten John Barrowman und die Frau der Krankies mit Wasserpistolen herum und natürlich wurden wir in den ersten Reihen nass. Außerdem schneite es am Ende des ersten Teils Schaumschneeflocken, die Spinne versprühte irgendwelche Kreppbänder und ganz am Ende des Stücks flogen viele bunte Streifen ins Publikum, die die Kinder dann alle einsammelten. Die Kinder waren echt putzig. Vor allem die Kleine neben mir - etwa zwei Jahre alt und sie verfolgte das Stück mit offenem Mund bis zum Schluss dann die bunten Bänder auf dem Boden viel spannender waren. Ich fand es aber schon sehr lustig und ich habe etwas über die britische Kultur gelernt. Also bildungs- und unterhaltungstechnisch ein voller Erfolg. :-D

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