Mittwoch, 10. Dezember 2014

Schulgeschichten

Angesichts meiner Posts mag manch einer schon auf die Idee gekommen sein, ich ginge hier gar nicht arbeiten sondern nur auf Reisen. Das stimmt so nicht, ich habe mittlerweile zwar mehr von Schottland gesehen als manch Schotte, aber vier Tage die Woche bin ich brav in der Schule (ja, ich habe seit längerem einen Stundenplan) und versuche die Schüler dazu zu bewegen, mit mir Deutsch zu sprechen. Nun ist die Schule aber entweder nicht bloggenswert, weil nicht besonders interessant, oder sehr interessant aber schwierig, auf einem Blog zu beschreiben, weil der ja öffentlich einzusehen ist und die child protection hier sehr ernst genommen wird. Aus diesem Grund habe ich hier bisher weder den Namen meiner Schule noch den meiner Council Area genannt (ich glaube, es kommen zumindest drei Councils infrage, bei denen ich in Glasgow wohnen kann). Ich werde natürlich auch keine Namen von irgendwelchen Schülern oder Schulklassen nennen und die drei Lehrerinnen, mit denen ich am meisten zu tun haben, bekommen hiermit folgende Pseudonyme: Laura, Victoria und Shona.

Die Lehrerinnen sind echt super. Shona hat nicht so viele Deutschklassen, deswegen arbeite ich vor allem mit Laura und Victoria zusammen und das geht richtig gut. In den allermeisten Fällen stoßen Amelie und ich mit unseren Ideen (seien es nur längere oder kürzere Projekte, Vorschläge für einzelne Stunden oder Dekorationswut in der Base) auf Begeisterung und können sie ohne Probleme umsetzen. Von anderen Schulen habe ich da auch ganz andere Sachen gehört. Vor ein paar Wochen brachte es Laura, glaube ich, in etwa wie folgt auf den Punkt: "Stell dir vor, du sagt: 'Wir brauchen hier unbedingt ein Schloss.' Dann würden Victoria und ich sagen: 'Ja, lass uns ein Schloss bauen! Neuschwanstein!'"
Die meisten Schüler sind auch sehr nett. Die Kleinen sind natürlich noch sehr quirlig und haben Spaß daran, mich lautstark im Gang zu begrüßen oder im Klassenzimmer meinen Namen in einer Endlosschleife zu wiederholen (letzteres nervt ziemlich). Manchmal verwechseln sie mich mit Amelie (wir sehen uns wirklich unglaublich ähnlich, wenn wir nicht altermäßig eineinhalb Jahre auseinander liegen würden, würde ich wetten, dass wir bei der Geburt getrennt wurden - Nicht.), aber das macht ja nichts. Im Zweifelsfalle bin ich "Miss". Heute sprach mich auch eine mit Mrs Rut an.
Die Älteren sind ruhiger, aber lächeln mich auf dem Gang auch meistens an, wenn sie mich sehen. Zwei Mädchen aus der Vierten Klasse haben es ja auch in ihrer Klasse angeleiert, dass ich eine Geburtstagkarte von ihnen bekommen habe. Und die Fünftklässler finde ich ohnehin super. Sie sind nur zu sechst und ein bisschen schüchtern, aber gleichzeitig interessiert. Ich habe es noch nicht geschafft, es ihnen abzugewöhnen, dass sie vorher immer den Satz aufschreiben, bevor sie ihn sagen, aber ich habe das Gefühl, dass ihre Formulierungen wagemutiger werden. Vor gut einem Monat oder so musste ich mir wirklich ein Grinsen verkneifen, denn eine der Schülerinnen begann ihren Satz mit: "Weil... oh, no, if I use 'weil', the verb goes to a different place... Denn..."

Um euch einen kleinen Einblick in meine Erlebnisse der letzten drei Monate zu geben, dachte ich, ich mache mal zwei Listen.

Worüber ich mich in der Schule freue:
  • dass die Schüler sich jedes Mal freundlich bedanken, wenn ich sie 10-15 Minuten mit intensiven Deutschsprechen in Vierergruppen gequält habe 
  • wenn ich es schaffe, die Schüler zum Erstaunen zu bringen: "When we eat a sandwich in Germany, we usually have only one slice of bread. There is no bread on the top of the sandwich." - "And how do you eat the sandwich?" (Die Diskussion über die verrückten Deutschen, die kein Doppeldecker-Sandwich haben, wurde noch im Gang fortgeführt. Dabei hatte ich ihnen nicht mal gesagt, dass meine Großeltern ihr Butterbrot oft mit Messer und Gabel gegessen haben)
  • wenn meine Schüler sofort nach Deutschland ziehen wollen: keine Schuluniform, ein Straßenfest, bei dem Bonbons geschmissen werden und gleich drei Leute, die einem an Weihnachten Geschenke bringen - Nikolaus, Weihnachtsmann und Christkind (irgendwas ist da heute schief gelaufen)
  • und wenn die Schüler, die gerade noch nach Deutschland ziehen wollen, dann feststellen müssen, dass sie dann ja Deutsch können müssten...
  • wenn die Arbeit, die Amelie und ich uns gemacht haben, wertgeschätzt wird: Zu St. Martin haben wir beide eine Laterne gebastelt, die die Schüler schon ziemlich beeindruckt haben (vor allem, weil wir ein elektrisches Teelicht reingetan haben). Aber die Aktion hat noch weitere Kreise gezogen. Laura und Victoria haben sowieso direkt ihre Begeisterung kundgetan, aber haben dann an dem Info-Abend der Grundschuleltern, bei dem sich alle Departments vorstellen sollten, den Eltern unsere Laternen gezeigt und haben ihnen erzählt, dass die FSAs sie gebastelt haben. Wir haben uns natürlich total darüber gefreut. Zwei Wochen später sagte eine der Integrationshelferinnen/ Lernassistentinnen zu mir, dass sie mit ihrer Jugendgruppe jetzt auch Laternen basteln würde. Sie hat sich dann nochmal von mir erklären lassen, wie wir den Boden gemacht haben.
  • einfach goldige Kommtare wie "Be nice, she doesn't speak English!" als eine der Erstklässlerinnen dachte, ich verstünde kein Englisch und erstmal ihre Klassenkameraden zur Besinnung rief. Die Lehrerin und ich hatten vergessen, dass ich mich in der Klasse noch nicht vorgestellt hatte.

Was mich traurig macht oder frustriert:
  • Schüler, die einfach nur ihren Text vorlesen, den sie geschrieben haben, und danach nicht mal auf Fragen zu ihrem Text antworten können, weil sie offensichtlich kein Wort von dem verstanden haben, was sie gerade geschrieben haben (ja, das ist möglich)
  • Ein-Wort-Antworten ("Could you please answer in a whole sentence?" ist mein am häufigsten genutzer Satz)
  • wenn ich auf die Frage "Wie heißt du?" nur leere Blicke ernte - von den Viertklässlern
  • Schüler, deren erster Satz zu mir ist, dass sie kein Deutsch können. Es ist eine Sache, wenn sie offensichtlich schüchtern sind oder mir vorher sagen, dass sie nicht besonders gut sind (dann versuche ich immer sie zu beruhigen und sage, dass wir es doch üben, damit sie besser werden), aber die Art wie manche ihre Einstellung "Ich kann ja eh nichts" zur Schau stellen, finde ich schwierig. Vor allem, da ich mir denke, dass doch nach teilweise jahrelangem Deutschunterricht irgendwas hängen geblieben sein muss. (Oder auch nicht, siehe Punkt 1 und 3...)
Außerdem gibt es natürlich Schüler, die ziemlich anstrengend sind. Normalerweise schicken mit Laura und Victoria nur die unproblematischen Schüler, so dass ich bisher nur zweimal Schüler zurück in die Klasse geschickt haben, weil sie sich einfach gar nicht vernünftig verhalten haben und ich sie nicht bändigen konnte (ein Junge hat z.B. seinen Nachbarn einmal quasi gebissen - wenn ich das richtig verstanden habe, hat er nur die Haut am Arm des anderen zwischen die Lippen genommen, aber das reichte mir schon). Ich glaube, am Anfang wollten die Schüler auch einfach testen, ob ich sie wirklich zurück schicken würde, wenn sie Blödsinn machen, denn die Fälle fanden alle im September oder Anfang Oktober statt. Ein besonders chaotischer Junge hat auch schon zweimal versucht, sich in meinen Raum zu schleichen. Nachdem ich aber mit der Lehrerin vereinbart habe, dass er never ever zu mir geschickt werden wird, falle ich auch nicht mehr auf seine Beteuerungen, er sei geschickt worden, herein.

Ich bin sicherlich nicht perfekt in meinem Umgang mit den Schülern oder der didaktischen Aufbereitung der Materialien, aber ich lerne dazu. ;-)

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