Mittwoch, 15. April 2015

Maeshowe und Inganess Bay (Orkney Tag 3)

"Sag dem Busfahrer, dass du bei Maeshowe aussteigen willst und dann hält er da." Wie? Einfach so?

Ja, einfach so. Am dritten Tag meiner Zeit auf Orkney stand das neolithische Grab Maeshowe auf dem Plan. Es gibt keine richtige Bushaltestelle, aber wenn man dem Busfahrer Bescheid sagt, dass man nach Maeshowe möchte, hält der da und lässt einen raus. Ich hatte eine Führung für elf Uhr gebucht (ohne Führung kommt man nicht rein) und kam kurz nach elf an. Eine Mitarbeiterin hatte den Bus ankommen gesehen und hat mich schnell über die Straße gebracht, wo ich mich der Führung anschließen konnte.
Es war gut, dass wir einen Gästeführer hatten. Ansonsten hätte ich vermutlich nur einen Grashügel mit ein paar Schafen, einem Tunnel und drei Grabkammern um einen viereckigen Raum, der mit unserer etwa 20 Leute-starken Gruppe ziemlich gut gefüllt war, gesehen. Man betritt das Grab durch einen sehr niedrigen Gang, in dem sich sogar die Kinder ducken mussten. Im Winter, wenn die Sonne tief steht, scheint sie durch den Tunnel und wirft ihre Strahlen genau auf eine der Grabkammern. 
Und das nicht die einzige architektonische Raffinesse. Eine Art Steintür (ein dicker Stein, der gedreht werden konnte) verschloss den Eingang und unser Gästeführer erzählte uns, dass eine seiner Kolleginnen als Zehnjährige die Tür einmal aus Versehen zugemacht hat, weil ihr langweilig war und sie alles einmal anfassen musste. Ein 5000 Jahre altes Grab und trotzdem kann ein kleines Mädchen die schwere Steintür bewegen. Außerdem hat er das Dach hervorgehoben. Das ist das Einzige an dem Grab, das nicht mehr Original ist. Als die Wikinger einige Jahrhunderte nach den eigentlichen Erbauern von Maeshowe nach Orkney kamen und gerne in das Grab rein wollten, stellten sie fest, dass der Eingang versperrt war und machten kurzerhand ein Loch in das Dach. Das Dach hielt dann noch gut hundert Jahre, bis es komplett einstürzte. Im Victorian Age wurde dann ein neues Dach für das Grab gebaut, allerdings ist das nicht so gut wie das Originaldach.
In den Ecken des Grabs steht jeweils ein Standing Stone, der keine tragende Funktion hat, also wird davon ausgegangen, dass die Erbauer die Kraft der Steinkreise auf das Grab übertragen wollte. Die Steine wurden extra dorthin transportiert, was damals ein großer Aufwand gewesen sein muss. Es stehen auch zwei Standing Stone im Eingang hinter dem Tunnel. Einer der beiden ist zerbrochen und man kann wohl anhand des Musters erkennen, dass er beim Bau zerbrochen sein muss. Unser Gästeführer meinte dazu: "We can only imagine the neolithic swear words..."
Die einzelnen Grabkammern waren begehbar und die Knochen wurden immer mal wieder herausgeholt oder umgeschichtet. Es war keine Bestattung in unserem Sinne, bei der man den Leichnam dauerhaft irgendwo hin legt. In dem Raum in der Mitter wurden vermutlich Zeremonien abgehalten, bei der die Ahnen verehrt wurden. Der Gästeführer meinte, er könne sich vorstellen, dass die Leute bei diesen Zeremonien auch draußen vor dem Grab standen und der Tunnel als eine Art Lautsprecher funktionierte, um die Menschen an der Zeremonie teilhaben zu lassen.
Irgendwann verließen die Menschen die Stätte aber. Man weiß nicht genau warum. Alles, was man weiß, ist, dass die Lebensumstände schwieriger wurden und sich viel in der damaligen Gesellschaft änderte. Sie versperrten den Eingang sehr penibel mit Steinen, also war ihnen die Stätte schon noch wichtig genug, dass niemand sie anderweitig verwenden sollte. Einige Jahrhunderte war da also Ruhe und dann kamen die Wikinger und stiegen wie gesagt durchs Dach ein.
Von den Wikinger stammt auch ganz viel Graffiti, das in die Wände eingeritzt ist. Das meiste sind Runen (futhark), aber es sind auch ein paar Bilder dabei. Der Gästeführer hat uns ein paar der Ritzereien übersetzt und ich kann sagen, dass die Menschen damals auch nicht geistreicher in ihren Botschaften an die Nachwelt war. Mein Favorit ist "Ich (Name) habe diese Inschrift hier ganz oben angebracht". Diese Runen befinden sich in gut zwei Metern Höhe. Ganz viele Runen berichteten auch von Schätzen, die die Verfasser gefunden und mitgenommen hätten. Das sind, laut dem Gästeführer, aber vermutlich Wikinger-Scherze, um andere zu ärgern, denn die ursprünglichen Erbauer des Grabs gaben keine Grabbeigaben. Wenn die Wikinger  tatsächlich etwas gefunden haben, dann müssen andere Wikingerstämme das Grab zwischendurch verwendet haben. Ein Wikinger-Graffiti erwähnt auch Ragnar Lodbrok, "Hairy Breeches" (haarige Hosen), der in der Serie Vikings vorkommt. Der Gästeführer fragte, ob irgendjemand die Serie sehen würde. Es gab niemanden in der Gruppe, was ihn etwas traurig machte, weil er die Touristen so gerne spoilert. Also Achtung Spoilergefahr (zum Lesen bitte markieren): Ragnar Lodbrok hatte den Spitznamen "Hairy Breeches", weil seine Frau ihm eine Fellhose gemacht hatte, die ihn vor allen Waffen schützen sollte. Deswegen war er im Kampf unbesiegbar - bis er in ein Schlangenest gestoßen wurde. Er wurde von einer Schlange gebissen und starb.
Eine weitere Anekdote, die uns der Gästeführer erzählte, ist, dass angeblich eine Gruppe von 100 Wikinger-Kriegern Schutz vor einem Schneesturm suchte und in das Grab ging. Sie verfolgten einen anderen Wikingeranführer, den sie töten wollten. Wie gesagt, sie endeten in dem Grab, dicht gedrängt und mussten dort drei Tage ausharren. Der Gästeführer konnte echt gut erzählen. Er sagte, er könne es sich bildhaft vorstellen, wie die 100 breitschultrigen Krieger sich in der Kammer drängeln und irgendeiner sagt: "Whose great idea was that? We could have just forced our entry into one of the farmhouses!" Als sie das Grab nach drei Tagen verließen, war der Mann, den sie töten wollten, natürlich über alle (nicht vorhandenen) Berge. Aber sie konnten ihn bei einer anderen Gelegenheit töten. "So the story had a happy ending." (O-Ton Gästeführer).

Vom Maeshowe aus ist es nicht weit zu den Standing Stones of Stennes, ein weiterer Steinkreis, bei dem aber nur noch drei Steine überlebt haben. Außerdem gibt es ein paar einzeln stehende Steine. Einer wird als Watchstone bezeichnet. In der Nähe sind die Überreste eines weiteren Steinzeithauses, ähnlich wie die Häuser in Skara Brae, aber längst nicht so gut erhalten.
Als sich am Himmel dunkle Wolken zusammenzogen, beschloss ich, dass es vernünftig sei, nach Kirkwall zurückzufahren und machte mich wieder auf den Weg nach Maeshowe, um den Bus anzuhalten, wenn er vorbei kommen sollte. Ich musste ewig auf den Bus warten (es ist schon doof so ganz ohne Bushaltestelle und Fahrplan), aber zum Glück regnete es nicht und ich kam zum Mittagessen bei Marit an.

Nachmittags habe ich einen Spaziergang gemacht. Marit hatte mir einen Walking Tours Guide geliehen, in dem mir gesagt wurde, ich solle zuerst zum Parkplatz mit Picknickplatz an der Inganess Bay gehen. Es hat länger gedauert, als ich dachte, zu der Bucht zu gelangen, aber sie war sehr schön. Es lag vielleicht auch an der Sonne, aber das blaue-grüne Meer und die grünen Steine (Algen) sahen wirklich toll aus und auch das Schiffswrack hatte irgendwie etwas Malerisches. 
Der sogenannte Parkplatz hat meine Erwartungen allerdings untertroffen. Ich kam am Strand an, sah den Flughafen von Kirkwall und dachte: "Irgendwo muss doch dieser Parkplatz sein!", nur um dann festzustellen, dass die freie Fläche in der Nähe des Strandes der Parkplatz und eine Bank der Picknickplatz war. Aber ich wollte ja auch nicht picknicken. Auf einem Schild stand nochmal die Route, die auch in meinem Guide beschrieben war. Zuerst würde es durch eine Area of Wetland gehen, dann durch Woodland und zum Schluss um einen Bauernhof herum. Klang simpel.
 Durch ein Tor ging ich in die Area of Wetland, die wie der Name schon sagt, ziemlich nass und matschig waren. Der Weg führte an einem Flüsschen entlang und ich sah einige schöne Frühlingsblumen. Danach musste ich eine Straße überquere um in die Area of Woodland zu kommen. Da es in Orkney grundsätzlich sehr wenige Bäume gibt, war ich nicht überrascht, dass auch die Bäume im Woodland recht kleine Vertreter waren. Ich bin mir auch nicht sicher, ob sie natürlich gewachsen sind oder gepflanzt wurde. Ich vermute mal letzteres. Auch der Woodland-Weg war sehr matschig. Einige Holzstege lagen scheinbar willkürlich verteilt herum, so dass man nicht komplett im Schlamm versank.




Danach ging es über verschiedene Feldwege und Felder. Dabei sind mir viele Schafe begegnet. Ab und zu musste ich über Stacheldrahtzäume klettern. Aber es gab immer eine Art Trittbrett, das das Überqueren des Zauns möglich gemacht hat. Es ist im Grunde eine Mini-Brücke über den Zaun, die aus zwei Stufen und einer Planke zum Festhalten besteht. Diese Kletterhilfe überzeugte mich auch immer wieder davon, dass ich mich noch nicht ganz verlaufen haben konnte und nicht gerade über private Grundstücke latschte und eventuell im nächsten Moment einem wütenden Bauer Maggot, der glaubt, ich würde seine Pilze stehlen, über den Weg laufen würde.
Irgendwann musste ich dann aber feststellen, dass ich doch irgendwo eine Abzweigung verpasst haben musste. Ich kam einfach nicht da aus, wo ich dem Guide nach hätte landen sollen. Also habe ich die große Straße gesucht und bin von meinem Handy geführt ziemlich lange an dieser Straße entlang gelaufen (nachdem ich vorher erstmal in die falsche Richtung gegangen war). Ich glaube, ich war noch nie so froh, einen (und in diesem Fall den St. Magnus) Kirchturm zu sehen, weil der die letzte Bestätigung war, dass ich die richtige Richtung gewählt hatte. Trotzdem dauerte es nach der Kirchturmsichtung noch recht lange, bis ich Marits Wohnung erreichte. Kirkwall ist größer als ich dachte.

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