Donnerstag, 30. April 2015

Ein Ort voller Geschichte

Nach den Osterferien stellte ich fest, dass ich nur noch sechs Wochen in Schottland sein würde. Diese Zeit muss natürlich sinnvoll genutzt werden. Deswegen war ich letzte Woche Freitag in Stirling. Ich war zwar schon zweimal da, aber habe es beide Mal nicht geschafft, das Wallace Monument und das Castle zu besuchen.
In früheren Zeiten war Stirling die Hauptstadt von Schottland und zwei wichtige Schlachten in der schottisch-englischen Geschichte fanden in oder nahe Stirling statt. Die Schlacht von Stirling Bridge (1297) und die Schlacht von Bannockburn (1314). Beide Male waren die Schlachten mit den schottischen Unabhängigkeitskriegen verbunden und beide Schlachten wurden von den Schotten gewonnen.
Stirling Bridge
In der Schlacht von Stirling Bridge hat sich William Wallace besonders hervor getan. Rein zahlenmäßig hätten die Engländer gewinnen müssen. Aber die Taktik der Schotten war besser. Die Engländer überquerten die Stirling Bridge, um zum Schlachtfeld zu kommen, aber anstatt dass die Schotten dort auf die Engländer warteten, fingen die Schotten an, sie auf der Brücke zu bekämpfen und ihnen den Rückweg abzuschneiden. Außerdem war mit den Pferden auf sumpfigen Gebiet nicht so viel anzufangen. Die Engländer, die die Brücke noch nicht gesehen hatten, sahen ein, dass sie nicht gewinnen konnten und zogen sich zurück. William wurde zum Guardian of Scotland ernannt. Später hat ihn aber der englische König Edward I. gefangen genommen und wegen Hochverrat ziemlich ausführlich hingerichtet. Eine Schülerin der P5 erklärte es mir vor Ostern folgendermaßen: "They tortured him and then they hung him. And because he wasn't dead, they chopped off his head. And then they sliced his stomach and took out all the stuff inside while he was still alive so he could see himself die. Well... of course that was before they cut his head off..." ("Sie folterten ihn und dann erhängten sie ihn. Und weil er noch nicht tot war, haben sie seinen Kopf abgehackt. Und dann haben sie seinen Bauch aufgeschlitzt und die Innereien rausgenommen, während er noch gelebt hat, damit er sich beim Sterben beobachten konnte. Nun... das war natürlich bevor sie seinen Kopf abgehackt haben..."). Denjenigen, die Braveheart gesehen haben, wird das Ganze bekannt vorkommen.
Die Stirling Bridge steht noch und ich bin darüber gegangen. Bannockburn habe ich aber nicht besucht. Als ich mit Amelie, ihrer Schwester und Freund in Stirling war, sind wir daran vorbei gefahren, aber wir sind nicht ausgestiegen. Der Anführer der Schotten in dieser Schlacht war Robert the Bruce. Sein Denkmal ist natürlich in Bannockburn.
Außerdem hat Stirling neben London (Westminster Abbey) die einzige noch erhaltene Kirche, in der Königskrönungen stattgefunden haben und zwar die Church of the Holy Rude. Ja, genau, das ist die Kirche, bei der ich mich im November-Stirling-Post darüber aufgeregt habe, dass sie meinen Namen nie richtig schreiben. ;-) James VI. von Schottland (Sohn von Mary Stuart) wurde dort im Kindesalter gekrönt.

Genug mit der Geschichte, zurück zu meinem Ausflug. Amelie hatte mir vom Wallace Monument erzählt und dass man von dort eine gute Aussicht habe. Das wollte ich mir nicht entgehen lassen. Die Tage vorher hatten wir richtig tolles Wetter, aber dann meinte eine Frau beim Zumba, dass es am Wochenende schlechter werden sollte. Ich guckte mir die Wettervorhersage an und weil das Wetter am Freitag besser sein sollte am Samstag entschied ich mich für Freitag - und fühlte mich hinterher veräppelt, weil es Samstag sehr viel schöner war. Am Freitag war es nicht direkt schlecht, aber recht bewölkt.
Am Bahnhof in Stirling angekommen, nahm ich den Bus zum Monument. Netterweise stand auf einem Plakat, welche Busse man dorthin nehmen konnte. Leider wusste ich, erstmal im Bus,  nicht, wo ich aussteigen sollte. Das altbekannte Problem. Wenn man nicht weiß, wie der Zielort aussieht, ist das Aussteigen wie Lotto spielen. Ich sah irgendwann das Wallace Monument und dachte, wir würden noch näher ran fahren, aber dann war es außer Sicht. Ich weiß nicht, ob der Bus vor der Endhaltestelle nochmal eine Schleife gedreht hätte und bin ausgestiegen und das Stück zurück gelaufen. Dass die hier auch keine Busfahrpläne in den Bussen haben und die Haltestellen vernünftig anzeigen!
Das Wallace Monument ist ein Turm auf einem Hügel. Am Fuß des Hügels kauft man die Eintrittskarte und kann dann entweder mit einem kleinen Bus hochfahren oder laufen. Ich bin gelaufen und habe die Strecke in zehn anstelle der angekündigten fünfzehn bis zwanzig Minuten gebraucht und fühlte mich toll.






Man kann den Turm besteigen. Eine enge Wendeltreppe mit läppischen 294 Stufen führt bis in die Krone. Zum Vergleich: Der Südturm des Kölner Doms hat 533 Stufen. Etwas anstrengend ist das Wallace Monument natürlich auch und man muss immer die Luft anhalten, wenn einem jemand auf der Wendeltreppe entgegen kommt. Auf einem Schild zu Beginn der Treppe steht "Bitte rechts halten" und ich dachte mir nur: "Soll ich auf einem Bein die Stufen hoch hüpfen?" Das Gute ist aber, dass drei Ausstellungsräume über die Höhe des Turms verteilt sind. Da kann man sich, wenn man vom Treppensteigen außer Atem ist, etwas ausruhen und sich informieren oder auch den Gegenverkehr ausweichen. Der erste Raum widmet sich der Geschichte der Schlacht von Stirling und man erfährt dort ungefähr das, was ich weiter oben geschrieben habe. Außerdem gibt es ein Video, in der sich William Wallace mit, ich glaube, Andrew de Morag, dem eigentlichen Heerführer der Schlacht, unterhält.
Andúril! Ups, das ist eine andere Geschichte
Im zweiten Raum wird die Frage gestellt, was eigentlich ein Held ist. Man kommt zu dem unglaublichen Schluss, dass das eine Frage der Perspektive ist. Es werden Büsten verschiedener (schottischer) Helden ausgestellt u.a. Robert Burns, Sir Walter Scott, John Knox und William Ewart Gladstone. Insgesamt habe ich festgestellt, dass die meisten dieser Helden aus dem 18. und 19. Jahrhundert kamen. Ich glaube, nur zwei stammten aus früheren Jahrhunderten. Außerdem kann man ein Schwert sehen, das angeblich William Wallace gehört hat. Das ist größer als ich!

Der letzte Raum informiert über den Bau des Denkmals. Es wurde im 19. Jahrhundert gebaut. Der erste Entwurf zeigte einen schottischen Löwen, der einen englisches Typhon (ein schlangen-/ drachenartiges Wesen aus der griechischen Mythologie), wurde aber abgelehnt, weil es dann doch zu anti-englisch war. Das Wallace Monument ist größer als das Scott Monument in Edinburgh, aber kleiner als die Freiheitsstatue (die wiederum kleiner als Big Ben ist). Und apropos Edinburgh: Sowohl Edinburgh als auch Glasgow hätten gerne das Wallace Monument gehabt. Stirling war dann ein Kompromiss zwischen den beiden Städten. Außerdem  ist die Tatsache, dass die Battle of Stirling Bridge in Stirling stattgefunden hat, natürlich ein starkes Argument.
Die Krone des Monuments ist bei zu viel Wind geschlossen, aber ich hatte Glück und konnte von dort die Aussicht genießen.

Stirling Castle auf dem Hügel
Mein zweites großes Ausflugsziel war Stirling Castle. Es liegt auf einem Hügel über der Altstadt und ich fand es ziemlich beeindruckend. der größte Teil des heutigen Schlosses wurde im 16. Jahrhundert von den Königen James IV. bis VI. gebaut. Kurze historische Information: James IV. war mit Margaret Tudor (Tochter des englischen Königs Henry VII.) verheiratet und starb im Krieg gegen England. England war in Frankreich einmarschiert, was dummerweise mit Schottland verbündet war... Damit war er der letzte König in ganz Großbritannien, der in einer Schlacht ums Leben kam. Sein Sohn, James V., wurde mit 17 Monaten zum König gekrönt. Er heiratete zwei französische Frauen (die eine starb sieben Wochen, nachdem sie nach Schottland gekommen war) und hatte drei Kinder mit Marie de Guise, von denen nur eins überlebte - Mary, Queen of Scots. Die kleine Mary wurde im Alter von sechs Tagen Königin, obwohl ihre Mutter Mary of Guise erstmal die Regierungsgeschäfte übernahm. Wie es mit Mary, Queen of Scot, endete, wissen vermutlich die meisten. Sie musste zugunsten ihres Sohns James VI. abdanken und wurde in England hingerichtet. James VI. wurde dann der erste gemeinsame König von England und Schottland, weil Elizabeth I. keine Kinder hatte. (Ich musste damit jetzt etwas angeben, schließlich hat es etwas gedauert, bis ich bei der Audioguideführung durch die ganzen James und Marys durchgeblickt habe.)
Der Audioguide zum Schloss war ziemlich gut. Während man durch den Königspalast geführt wurde, hörte man nicht nur Informationen über das Gebäude und die historischen Hintergründe, sondern immer auch eine kleine Szene, in der Schauspieler Dialoge sprachen, die die geschichtlichen Begebenheiten untermalten.


Das Schloss ist zumindest teilweise so restauriert worden, dass es wieder wie zu den Zeiten von James V und Marie de Guise aussieht. Dadurch sieht man, wie farbenfroh es damals war. Wenn man sich heute Schlösser anguckt, kommt man nicht auf den Gedanken, dass die Great Hall von außen in einem strahlenden Gelb hätte angestrichen sein können, so dass sie ein bisschen wie ein kitschiges Schloss im Phantasialand aussieht, oder dass die Decke im Schlafzimmer und Audienzzimmer des Königs so bunt angemalt worden sein könnten, dass ich mich fragte, ob das ein schlechter Scherz sei. Die knalligen Farben haben mich etwas an einen Kindergarten erinnert. Vermutlich liegt es daran, dass ich Schlösser anders (ohne die damalige Bemalung) gewöhnt bin. Trotzdem war mir das zu viel Farbe. Die Holzdecke in der großen Halle gefiel mir aber sehr gut und auch die Vorhänge an der Wand passten eher in meine Vorstellung wie ein Königspalast auszusehen hat.
Great Hall

Zimmer des Königs
Die Räumlichkeiten von James V sind nie fertig gestellt worden, weil er vorher starb. Die der Königin aber schon und da ihre Räume architektonisch die des Königs spiegeln, kann man sich schon vorstellen, wie die Räume des Königs ausgesehen hätten. Ich kann mich nicht erinnern, ob die Decken in den Gemächern der Königin auch so knallbunt waren, aber wenn das der Fall war, nahmen die reichbestickten Wandteppiche und die prunkvollen Möbel den Farben die Kraft. In diesen Räumen standen Mitarbeiter von Historic Scotland in  historischen Kostümen und machten dem Audioguide Konkurrenz. 
Das prächtige Bett, so der Mann im Schlafzimmer der Königin, habe nur eine symbolische Bedeutung gehabt und sei zum Kinder gebären da gewesen. Das eigentliche Bett der Königin habe in einem kleinem Nebenraum gestanden. Außerdem ist in diesem intimsten Raum der Königin ein Fußball gefunden worden, was zu der Vermutung geführt hat, dass die kleine Mary noch-nicht-Queen of Scots in den Räumen getobt hat. Sie war später auch eine gute Reiterin und Bogenschützin. Das Audienzzimmer war größer als das Schlafzimmer. Die Wandteppiche zeigten eine Einhornjagd. Dieses Motiv steht metaphorisch für die Passionsgeschichte Jesu, wie ich Freitag gelernt habe. Im ganzen Schloss sieht man ziemlich viele Einhörner, weil der schottische königliche Wappen einen Löwen und ein Einhorn zeigt.
Die Führung des Audioguides endete mit dem Königspalast, aber es gab noch viele verschiedene Stationen und Geschichten, die ich mir anhören und ansehen konnte. Die Küchen (die echt gut nachgestellt sind), Deckenschnitzereien, die einfach alles und jeden (von römischen Kaisern bis Frauen in der aktuellen Mode) zeigen, Mord und Totschlag in einem sonst ziemlich ruhigen Garten, ein Mann, der dachte, er könne sich selbst Flügel basteln und davon fliegen... Aber irgendwann lässt die Aufmerksamkeit nach.
Ich wollte auch eigentlich nicht mehr in das Argyll's Lodging gehen. Das Haus aus dem 17. Jahrhundert gehörte dem neunten Earl of Argyll, Archibald Campbell. Aber es war im Ticket zum Schloss enthalten und die Mitarbeiter haben mich mehr oder weniger reingezogen. Im Vergleich zum Schloss ist das Haus natürlich winzig, aber teilweise fand ich es prächtiger eingerichtet als den Palast. Aber auch das lag vermutlich daran, dass Teile des Königspalast nie fertig gestellt wurden. 
Nach einem langen Tag voller Bildung bin ich dann wieder zurück nach Glasgow gefahren.

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