Samstag, 6. September 2014

Vielleicht doch Hogwarts?

Die erste Woche in der Schule liegt hinter mir. Es war aufregend. Uns war gesagt worden, dass wir am ersten September um 9 Uhr in der Schule sein sollten. Weil ich an der falschen Bushaltestelle gewartet hatte (es ist auch einfach fies, wenn es mehrere Haltestellen auf einer Straße gibt), musste ich durch Glasgow irren, bis ich einen anderen Bus fand, mit dem ich fahren konnte und kam erst um Viertel nach neun an. Das war dann aber auch kein Problem. Ich habe noch keinen festen Stundenplan, also ist alles im Moment noch ziemlich flexibel (was allerdings auch heißt, dass ich gerade nicht weiß, wann ich Montag erwartet werde). Allerdings sind mir vorgestern die Erwartungen an mich mitgeteilt worden. Ich soll mit den älteren Hörverstehen üben und für die Kleinen ein Projekt vorbereiten. Außerdem bin ich einen Tag in der Woche an den Grundschulen und werde da etwas noch nicht weiter Definiertes machen. Wenn ich keine Vorgaben bekomme, singe ich vermutlich mit denen oder so.
Dafür, dass der Ort mitten im Nichts liegt, ist die Schule ziemlich groß. Ich weiß immer noch nicht, wie ich auf dem kürzesten Weg in das Lehrerzimmer für Fremdsprachen komme, aber bisher habe ich immer hin gefunden. Es gibt zwar auch ein Lehrerzimmer für alle Lehrer, aber im Grunde sitzen die Lehrer immer nur in den "Bases" von ihrem Fach. Anstelle von Klassenräumen gibt es Lehrerräume und sogar ich habe einen kleinen Raum bekommen, den ich gestalten kann (das sogenannten modern language studio). Der wurde auch eine Weile von den Kunstlehrern genutzt, aber in der letzten Woche habe ich mich darin breit gemacht, Postkarten aufgehängt etc. Ich kann den Raum nutzen, wenn ich mit kleineren Gruppen arbeite. Insgesamt gibt es drei Fremdsprachenlehrerinnen an der Schule, die Deutsch, Spanisch und Französisch unterrichten, wobei Deutsch am häufigsten angeboten wird. Ich habe das Gefühl, dass Französisch gerade gar nicht dabei ist. In einem Spanischkurs war ich auch schon mal dabei, nachdem ich erzählt habe, dass ich Englisch und Spanisch studiere.
Die Schule ist ziemlich modern ausgestattet. In allen Räumen gibt es Smartboards und Computer und daneben ist eine Whiteboard. Als ich den Lehrerinnen erzählt habe, dass in meinen Praktikumsschulen überwiegend mit Tafel, Kreide und OHP gearbeitet wurde, sind die fast hinten über gefallen. Allerdings habe ich auch schon die Nachteile des elektronischen Schulbuchs gesehen - zumindest wenn es so umgesetzt wird, wie an dieser Schule. Es ist cool, wenn man Videos oder Audiodateien über ein Smartboard abspielen kann, aber wenn die Schüler selber kein Buch haben, ist es ungünstig, wenn sie Aufgaben machen sollen. In einer Stunde sollte die Klasse Zahlen von Deutsch auf Englisch schreiben. Dabei kam es dann zu einem Problem, weil manche Schüler schneller fertig waren und die Aufgaben eigentlich heruntergescrollt hätten werden müssen, aber andere noch nicht so weit waren. In der Hinsicht hat die computergesteuerte Tafel dem OHP nichts voraus.
Ich habe mich jetzt schon in recht vielen Klassen vorgestellt, am häufigsten aber bei den Erst- und Zweitklässlern (11-13 Jahre). Ihr Niveau im Deutschen ist nicht mit den Englischkenntnissen von Fünft- und Sechstklässlern in Deutschland vergleichbar, obwohl die meisten von ihnen Deutsch in der Grundschule hatten. Ich habe mich mit Namen, Alter und Geburtstag bei allen vorgestellt und bei den Zweitklässlern noch gesagt, was ich Lieblingssachen sind. Mehr ging nicht. Die Zweitklässler haben mir Fragen gestellt: auf Deutsch nach dem Lieblingstier, -essen, -fußballmannschaft - auf einmal musste ich mir eine Lieblingsfußballmannschaft und ein Lieblingsauto zulegen und auf Englisch zu mir allgemein. Die Fragen, die sie auf Englisch stellten reichten von "What's life like in Germany?" über "Is German food different than Scottish food" bis hin zu "Do you like unicorns?" Natürlich wurde ich auch gefragt, was ich zu der Frage nach der Unabhängigkeit Schottlands dächte. Ich habe gesagt, dass ich mich nicht entscheiden werde, weil ich nicht Schottisch bin und deswegen nicht sagen kann, ob mir das für die Identität wichtig genug ist, das Risiko mit der Unabhängigkeit aufzunehmen. Das reichte den Schülern nicht wirklich. Aber die Lehrerin (die sehr stark ihre No-Haltung vertrat), fragte mich, ob ich dafür stimmen würde, wenn NRW unabhängig sein wollen würde, was ich verneint habe. Sie erklärte dem Schüler daraufhin, dass das doch auch eindeutig ein Nein zu der Schottlandfrage wäre. Darin stimme ich mit ihr zwar nicht überein, weil ich finde, dass man NRW nicht mit Schottland vergleichen kann, aber da es in Bezug auf die Frage nach der Unabhängigkeit Schottlands danach ruhig war, habe ich nichts gesagt. Eine Schülerin, ich meine sogar, dass sie in der ersten Klasse ist, fragte mich, ob ich schon mal ein Konzentrationslager besucht habe, und zeigte mir nach der Stunde ihr Heft, in dem sie etwas über ihre Mutter geschrieben hatte, die aufgrund der Arbeit ihres Mannes eine Zeit lang in Berlin gelebt hat und ihrer Tochter schon einiges über die NS-Zeit erzählt hat. Solch tiefgehende Fragen haben mich überrascht (bzw. hat es mich überrascht, dass sie von einer der jüngeren Schüler kam). Die Frage, welches One Direction Mitglied ich am meisten mag, war weniger überraschend und gleichzeitig viel schwieriger zu beantworten. Ach ja, am zweiten Tag hat auch ein pfiffiger Schüler festgestellt, dass meine Stadt "to eat" heißt.

Ein bisschen wie Hogwarts ist die Schule übrigens doch. Nicht nur, dass ich manchmal das Gefühl habe, dass die Treppen an bestimmten Tagen woanders hinführen und manche Türen keine Türen sind, sondern Wände, die nur so tun als ob - nein, es gibt auch Häuser. Die Schüler sind tatsächlich in Häuser unterteilt. Der Sinn erschließt sich mir noch nicht so ganz und offensichtlich haben die Häuser damit zu kämpfen, dass die Schüler sich nicht mit ihnen identifizieren, aber wie auch immer, es existieren drei Häuser und zweimal die Woche treffen sich die Schüler nach Häusern getrennt aber jahrgangstufenübergreifend in tutor groups und machen gruppendynamische Aufgaben. Das finde ich eigentlich nicht schlecht, allerdings scheinen die jedes Jahr die gleichen Aufgaben zu machen (Motto für das Haus erfinden, ein Schild für das schwarze Brett entwerfen, ein Lied für das Haus raussuchen etc.) und die älteren Schüler haben darauf offensichtlich keine Lust. Das kann ich auch gut  verstehen. Die Schüler können aber auch durch Schulleistungen, guten Benehmen oder Siege im Sport Punkte für ihre Häuser holen. Ich finde das sehr lustig, auch wenn ich weiß, dass JKR sich das Häusersystem nicht ausgedacht hat. Mal sehen, wie sichtbar die Häuser im Schulalltag sind.

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